Fotograf Christian Nielinger: Architekturfotografie

Kaum ein Bereich ist so leicht zu unterschätzen wie der der Architekturfotografie. Ein spektakuläres Gebäude, ein bisschen Sonnenschein, etwas Licht-Schatten-Spiel und das Foto entsteht fast von selbst. Nahezu jeder Mensch, der regelmäßig fotografiert – etwa auf Reisen – macht auch Architekturfotos, manche die gut aussehen.
Wird die Architekturfotografie wirklich ernst genommen, ist sie ein hochspezialisierter Bereich der Fotografie, den nur wenige wirklich beherrschen. Denn in ihrem Kern widersetzt sich die Architektur dem statischen Medium der Fotografie. Fassade, Material, technisches Detail und Design sind gut abbildbar. Was aber die Seele guter Architektur ausmacht, sind Raumgefühl und -abfolge, die intuitive Erschließung und oft auch die Haptik der Materialien.
Wo dem Hobbyfotografen oft die spektakuläre Form genügt, muss der Architekturfotograf tiefer blicken. Er muss die Intention des Gebäudes verstehen, die weniger offensichtlichen Qualitäten eines Entwurfes lesen und mit genauso detailgenauem Blick an das Thema gehen wie es die Architekten in der Planung getan haben.
Gelungene Architekturfotografie hat immer beides im Blick: Sowohl die Idee der Architekten wie auch das Erleben der Nutzer. Letzteres wird umso wichtiger, je weniger spektakulär der Bau ist. Das Thema der Architekturfotografie betrifft eben nicht nur die vielfotografierten Werke der Stararchitekten, sondern manchmal auch ganz kleine Architekturen wie ein Büroausbau, die Neugestaltung einer Praxis oder ein Schulneubau. Die Sorgfalt, die es benötigt, um sich solchen Themen zu nähern, ist oftmals noch größer. Hier kann sich die Architekturfotografie nicht mehr darauf verlassen, dass das Objekt von sich aus wirkt, sondern muss die dynamische Nutzung mit ihren eigenen Mitteln in ein statisches Bild übersetzen.
Auf der anderen Seite sind auch die vielfotografierten Entwürfe von Starachitekten und historische Gebäude immer wieder eine Herausforderung. Es gilt im scheinbar hinlänglich bekannten, das ungesehene zu entdecken. Im besten Fall gibt so die Architekturfotografie Gebäuden ihre Aura zurück und regt dazu an, sie noch einmal ganz neu zu entdecken.